Edin Bajrić

Edin Bajrić  portrait project: drinnen

An dem Gebäude, in dem Edin Bajrić sein Atelier hat, gibt es sehr viele verschiedene Klingel. Die meisten von ihnen funktioniere aber weder, noch sind sie beschriftet. Also beschloss ich, direkt nach oben zu gehen und Edins Atelier auf eigene Faust zu suchen. Das Gebäude ist mir nicht ganz unbekannt, denn ich hatte bereits früher einmal einen anderen Künstler am selben Ort besucht. In seinem Atelier begrüßt mich Edin in Socken. Das ganze Atelier ist mit Teppichboden ausgelegt. Am Eingang steht ein großer blauer Sessel mit gelben Blumenmuster, der sehr gut zu den blauen und weißen Wänden und den Pflanzen im Zimmer passt.

Neben dem Tisch steht eine große Teekanne, sowie eine Schale mit Nüssen und getrockneten Datteln. Wir unterhalten uns lange bei einem Tee, bevor wir mit den Fotos beginnen. Edin erzählt mir von seinem Arbeitsprozess, seiner Ankunft in Deutschland, der besonderen Geschichte seines ersten Ateliers und seiner Sicht auf das Künstlerdasein in Zeiten der sozialen Netzwerke.

Wie würdest du dich selbst beschreiben?

Wenn ich mich beschreiben würde, würde ich sagen, mich bewegt die Natur sehr und ich sehe mich als Sammler – nicht von allen Sachen (lacht) – und in mir drin ist ein Kind, was gerne entdecken möchte. Natürlich, wenn man auf die Welt schaut, ist es vorbei mit Entdeckungen, es ist ja fast alles entdeckt. Aber wenn ich daran denke, was mich als Kind so bewegt hat, dann sind es Dinge, die mich zum Staunen bringen. Dinge in der Natur, die ich finde und die in mir ein Wundern auslösen und nach diesen Dingen schaue ich mich die ganze Zeit um und freue mich, wenn ich so etwas entdecke.

Wann und wie bist du nach Deutschland gekommen?

Ich bin 1993 mit meiner Familie aus Bosnien geflüchtet. Nach Hannover sind wir ohne einen Plan gekommen. Wir hatten keine Ahnung, in welcher Stadt wir landen würden. Es waren damals alles Zufälle. Also ähnlich wie jetzt für viele Menschen aus der Ukraine. Wenn man flüchtet, hat man oft kein klares Ziel außer das Land zu verlassen. Manche haben vielleicht Verwandte in Deutschland oder in Polen und wissen dann, wo sie hinwollen. Aber ganz viele in den Unterkünften in Hannover haben sich nicht ausgesucht in dieser Stadt landen. Sie sind einfach hier, um Schutz zu bekommen.

Wann hast du entschieden, dass du etwas mit Kunst studieren oder machen wolltest?

Ich glaube die Entscheidung ist während der Schulzeit hier in Deutschland gefallen, als ich mich entscheiden musste, welchen Beruf ich lernen will. In Deutschland fängst du bereits in der neunten, zehnten Klasse an, eine Richtung zu wählen. Und es gibt ja Berufe ohne Ende. Immer wenn ich etwas gewählt habe, war ein gestalterischer Schwerpunkt dabei. Ich wusste damals nicht, dass man Kunst studieren kann aber kreativ war ich die ganze Zeit, etwas mehr als manche anderen. Den Kunstunterricht habe ich daher immer sehr gemocht. Ich habe dann geguckt, was ich werden könnte: Florist, Friseur, Gärtner, Schaufenstergestalter. Das waren die einzigen Optionen wo ich dachte, dass könnte ich mir vorstellen. Aber gleichzeitig dachte ich auch: Immer im Garten zu arbeiten, darauf habe ich keine Lust. Haare schneiden will ich auch nicht mein Leben lang.

Das Abitur habe ich dann schon mit dem Wunsch gemacht, Kunst zu studieren. Nach der zehnten Klasse war klar: Ich will Kunst studieren. Ich muss jetzt mein Abitur machen, egal wie, sonst kann ich nicht an eine Kunsthochschule.

Wie hast du dein erstes Atelier gefunden?

Im Studium hat sich ein Kontakt über einen anderen Studenten aus meinem Jahrgang ergeben. Ein Atelier in einer Altbauwohnung mitten in der Stadt wurde frei. Es war direkt um die Ecke vom Steintor und super günstig. Einem Onkel des Kommilitonen gehörte diese Wohnung - oder sogar das ganze Haus - und über den haben wir dann ein sehr günstiges Angebot bekommen. Wir haben damals 130 Euro im Monat bezahlt und zahlen das heute immer noch.Diese Wohnung habe ich dann 2005 zusammen mit einer Kommilitonin als Atelier bezogen und drei Jahre später, 2008, habe ich mein Studium beendet. Vor uns haben Prostituierte in der Wohnung gelebt. Ich habe in diesem Atelier immer gearbeitet, zwar nicht so viel wie in der Hochschule, aber als ich das Studium fertig hatte, war ich super glücklich, diesen Ort zu haben, wenngleich es wirklich ein Loch war. Es gab keine Heizung, kein Strom, nur einen alten Kohleofen.

Im Winter konnte man dort kaum arbeiten. Wir haben mit Heizlüftern und Kohleofen geheizt aber beides eigentlich selten genutzt. Damit wir nicht so häufig lüften müssen, haben wir in dieser Zeit weniger mit ungesunden Sachen gearbeitet. Sowieso waren wir im Winter häufig nur zwei, drei Stunden dort pro Tag dort. Im Sommer war der Ort aber ideal. Die Wohnung liegt im vierten Stock. Die Aussicht ist toll aber für die Ausstellung musst du jedes Mal zu Fuß hoch und wieder runter mit dem ganzen Kram. Als ich angefangen habe immer mehr auszustellen, wurde mir das auf Dauer zu anstrengend und ich habe mich nach einem alternativen Ort umgesehen.

Es waren insgesamt vier sehr produktive Jahre in dieser Wohnung und da es mein erstes Atelier war und ich wirklich gerne dort gearbeitet habe, war die Trennung sehr, sehr schmerzhaft. Als ich meine Sachen gepackt habe, war es wirklich so, als würde ich mein eigenes Haus verlassen. Ich habe mich selber gewundert über meine eigene Reaktion. Ich habe mich gefreut auf das neue Atelier, welches viel größer war und das ich mir mit niemandem teilen musste aber die Trennung war hart. Jetzt, mit ein bisschen Abstand, freue ich mich jedes Mal, wenn ich meine Freunde in dem alten Atelier besuche. Ich mag diesen Ort einfach sehr. Es ist nichts Besonderes aber es herrscht eine tolle Energie dort.

Und wie bist du zu deinem jetzigen Atelier in Hainholz- Hannover, gekommen?

Ebenfalls über einen Zufall. Eines Tages kam ein Künstlerkollege vorbei und ezählte, dass es in Hainholz ein großes Gebäude mit schöne Ateliers gibt. Ich habe zu der Zeit kein neues Atelier gesucht und konnte mir außer dem in der Goethestraße auch keines leisten. Er hat uns dann trotzdem eine Nummer dagelassen und gesagt, dass man sich die Räume einfach einmal anschauen kann. Das habe ich dann getan und damals, 2014, waren fast alle Räume noch frei. Ich habe dann nicht lange überlegt und mir sofort einen kleinen Raum gemietet, den ich mir leisten konnte. Dieser hatte sogar einen Wasseranschluss und ein eigenes Waschbecken. Wunderbar.

Was bedeutet es für Dich, ein Atelier zu haben?

Für mich ist ein Atelier ein Ort, an dem ich mich wohlfühlen muss. Dabei geht es nicht darum hervorragendes Licht oder besonders große Fenster zu haben. Es geht um ein bestimmtes Gefühl. Ich darf bestimmen, wer rein und wer rausgeht in meinen Raum und ich kann jederzeit dort arbeiten, Musik spielen. Für mich ist es wichtig, dass ich es angenehm in diesem Raum habe und nicht das Gefühl habe, jetzt muss ich leise sein, weil ich sonst jemanden störe. Es ist außerdem diese Freiheit, die man dort hat. Dass man niemandem erklären muss, wenn man mal zwei Wochen nicht in sein Atelier geht. Dieser Raum ist kein Laden mit Öffnungszeiten, sondern es ist mein Atelier und ich kann hingehen, wann immer ich will und kann darin tun, was ich möchte. Ein weiterer wichtiger Punkt für mich ist die Trennung von zu Hause. Ohne ein Atelier könnte ich als Künstler nicht meine Sachen verfolgen. Das ginge nicht in der Wohnung. Mein Mann würde die Krise kriegen.

Hast du eine Anekdote über dein Atelier, die du gerne erzählen würdest?

Ich habe eine Zeit lang in meinem Atelier gewohnt. Ich glaube etwa drei Monate. Ich habe mich von meinen Partner getrennt und musste deshalb vorübergehend raus aus der gemeinsamen Wohnung und war dann drei Monate hier in meinem aktuellen Atelier. Das war nicht so schön. Ich habe alles in der Wohnung gelassen und bin nur dorthin gegangen, um zu duschen und Wäsche zu waschen, wenn er nicht da war. Das möchte ich nicht wiederholen.

Gibt es Menschen, die daran interessiert sind, deinen Arbeitsplatz und deine Arbeitsweise kennen zu lernen?

Die Reaktion von den Leuten, wenn die Türen offen sind, sind, für mich, das Komischste. Auch jetzt in dem neuen Atelier: Dann kommen sie zum Tag der offenen Tür und trauen sich nicht rein. Sie gucken und denken „Da ist ein dunkler Teppich, da steht ein Sofa. Vielleicht ist das ja ein privates Wohnzimmer von jemandem, dann gehen wir lieber weiter weil das ist sicherlich kein Atelier.“ Manche kommen rein und fragen, ob sie die Schuhe ausziehen müssen, manche fragen mich, wo ich meinen Teppich gekauft habe und manche sind sehr frech. Eine Frau hat sich die ganzen Pinsel angeschaut und gefragt „Die sehen so ordentlich aus, werden die überhaupt benutzt?“ „Die werden im Moment nicht genutzt, die stehen da nur“, habe ich zu ihr gesagt. „Ja, so sehen sie auch aus!“, meinte sie. Es ist, als würdest du deine Wohnung aufmachen. Deshalb gibt es auch immer noch ganz viele Künstler, die ihre Türen nicht öffnen möchten.

Einige der Künstler sagen, das Atelier sei wie ihr erstes Zuhause – ist das auch für dich so?

Wenn ich auf Reisen gehe, habe ich das Gefühl, ich schleppe einen Teil von meinem Atelier mit. Ich war jetzt 10 Tage bei meiner Oma, habe ich meinen Fotoapparat mitgenommen, ich habe etwas zum zeichnen mitgenommen, etwas zum lesen. Das heißt nicht, dass ich das wirklich nutze aber das ist dann mein kleines Atelier, was mit mir reist. Und oft sehr viel. Zu Hause ist das genau so. Dinge, die einfach hier stehen weil es könnte sein, dass ich hier arbeiten will und dann möchte ich die Sachen auch hier haben.

Kann man heutzutage vom Künstlersein leben? Ist es heutzutage einfach, Künstler zu sein, auch mit Blick auf die digitale Welt?

Wenn du eine Frage stellst wie diese, kommt bei mir als erstes hoch, dass mir bei den Sozialen Medien und den Dingen, denen man z.B. auf Instagram begegnet, wirklich schlecht wird. Manchmal frage ich mich dann, ob ich wirklich den richtigen Beruf gewählt habe. Und natürlich frage ich mich auch, ob ich online aktiv sein muss. Ist das der Weg zum Erfolg oder ist es Erfolg, wenn deine Kunst analog gesehen wird? Es gibt bestimmte Wege, die ich nicht gehen will und es gibt genügend Künstler, die erfolgreich sind und dabei sehr unscheinbar und bescheiden sind. Die haben aber auch in ihrem Umfeld die richtigen Menschen, die sie begleiten und dabei unterstützen, dass sie trotz all ihrer Bescheidenheit ihre Kunst herausbringen können und an die richtigen Menschen geraten. Ist es einfach? Du siehst es ja selber. Wenn man bei Instagram reinschaut und sieht, was die Kreativschaffenden so darbieten, dann kannst du mit quietschiger Farbe auf großen Leinwänden, gut in Szene gesetzt, ganz schnell Kohle machen (lacht) und dich „Künstler“ nennen. Ob das dann wirklich gut ist, das sind für mich aber zwei Paar Schuhe. Aber abschließend: Ich denke, dass es heute in jedem Falle viel mehr Künstler gibt, wir aber gleichzeitig auch sichtbarer sind als früher.


Text: Janine Ahmann

Bilder: Irving Villegas

Janine Ahmann, geboren 1990, studierte Philosophie, Germanistik und Kulturpoetik der Literatur und Medien in Münster und Venedig sowie Deutsch als Fremdsprache über das Goethe Institut. Seit 2010 war sie in verschiedenen Positionen am Theater und an der Universität Münster tätig, kuratierte die Bereiche Musik und Bildende Kunst bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen und war von 2020-2023 als Referentin der Intendantin an der Staatsoper Hannover beschäftigt. Seit Beginn ihres Studiums liegt ein Fokus ihrer Tätigkeit auf dem Verfassen wissenschaftlicher, literarischer und journalistischer Texte. Zusammen mit Irving Villegas veröffentlichte sie zuletzt 2021 die Geschichte über die Einsamkeit während der Corona-Pandemie in Mexiko in der Chrismon.

Irving Villegas, geboren 1982 in Mexiko geboren, hat Fotojornalismus und Dokumentarfotographie an der Hochschule Hannover University of Applied Sciences and Arts studiert. Derzeit pendelt er zwischen Hannover und Berlin.Arbeiten von ihm wurden in verschiedenen Magazinen und Zeitungen wie etwa The New York Times, The Guardian, Der Spiegel, 6 mois, Huffington post, Fluter, Hannoversche Allgemeine Zeitung veröffentlicht.

Irving Villegas

Irving Villegas, geboren 1982 in Mexiko geboren, hat Fotojornalismus und Dokumentarfotographie an der Hochschule Hannover University of Applied Sciences and Arts studiert. Derzeit pendelt er zwischen Hannover und Berlin.Arbeiten von ihm wurden in verschiedenen Magazinen und Zeitungen wie etwa The New York Times, The Guardian, Der Spiegel, 6 mois, Huffington post, Fluter, Hannoversche Allgemeine Zeitung veröffentlicht.

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